Autoindustrie wirft Geld zum Fenster raus
9. Januar 2014
Stuttgart ist innovativer als das hippe Berlin
14. Januar 2014

Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts

Quelle: https://www.ka-news.de/

Was hat es zu bedeuten, wenn sich Konkurrenten gemeinsam daran machen Deutschlands Zukunft im Sektor der Industrie-IT zu retten? Ist es Panik? „Das ist die vielleicht letzte Chance, um in der IT-Branche eine weltweit führende Rolle zu spielen“, so Karl-Heinz Streibich, Vorstandsvorsitzender der Software AG. Oder Pragmatismus? „Die Amerikaner haben bei der Consumer-IT gewonnen – wir können mit der Industrie-IT gewinnen“, sagte der Vize-Vorstandschef von SAP, Jim Hagemann Snabe, letzte Woche beim Pressetermin.

Angesichts der Dominanz amerikanischer IT-Konzerne scharen sich deutsche Unternehmer und Wissenschaftler nun zusammen. Am Karlsruher Institut für Technologie wurde letzte Woche die Gründung einer Plattform für die sogenannte Smart-Data-Spitzenforschung bekanntgegeben. Das Smart Data Innovation Lab (SDIL) ist die neue Innovationsplattform für intelligente Daten. Ziel ist es, aus den schier endlosen Datenmassen die täglich in Unternehmen, Fabriken und im Alltag anfallen, Profit zu schlagen. Denn Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts und Deutschland will Weltmeister im Daten-Schürfen werden.

Entstanden ist die Plattform Smart Data Innovation Lab auf Initiative der Arbeitsgruppe „Bildung und Forschung für die digitale Zukunft“ des Nationalen IT-Gipfels der Bundesregierung. Der Aufbau und die Arbeitsweise des SDIL wurden in Zusammenarbeit zwischen Industrie und Forschung entwickelt. Neben dem Betreiber, das Karlsruher Institut für Technologie, zählen Bayer, Bosch, Microsoft Deutschland, SAP, Siemens und die Software AG ebenso zu den Gründungspartnern wie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), die Fraunhofer-Gesellschaft und das Forschungszentrum Jülich.

Darüber hinaus unterstützen mehr als 20 weitere Unternehmen und Institutionen das SDIL. Dazu zählen Infineon, Trumpf und Volkswagen sowie der Branchenverband Bitkom und die Deutsche Gesellschaft für Informatik (GI). Die Crème de la Crème der deutschen Wirtschaft steht Seite an Seite mit den klügsten Köpfen aus Forschung und Entwicklung. Entsprechend euphorisch gab sich Wilfried Juling vom KIT beim Pressetermin: "Eine solche Plattform zwischen Wissenschaft und Wirtschaft für gemeinsame Forschungsprojekte gab es auf nationaler Ebene in dieser Form noch nicht.“

Man kann nicht managen, was man nicht messen kann

Dafür bringen die Wirtschaftspartner nicht nur Sponsorengelder in die Plattform ein, sondern ebenso wie die Wissenschaftler vor allem ihre jeweiligen technischen Ressourcen. Die Industriegrößen wie Bosch, Siemens oder Volkswagen liefern die nötigen Daten. Unsortiert, ungefiltert und für sich genommen ein undurchdringliches Dickicht an Einzelinformationen. SAP und die Software AG tragen mit ihren Softwarelösungen dazu bei, dieses Dickicht zu durchbrechen.

Ebenso wie Rohöl zunächst raffiniert wird, um anschließend in eine Vielzahl von Produkten geformt zu werden, verhält es sich mit diesen Daten. „Die digitalen Datenmengen wachsen in unserer Gesellschaft rasant. Wir brauchen neue Instrumente, um sie zu managen und als Wissensquellen nutzbar zu machen“, sagt Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung und Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Bildung und Forschung für die digitale Zukunft“ des Nationalen IT-Gipfels.

Das Smart Data Innovation Lab wird damit zum Förderturm und zugleich zur Raffinerie für den Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Dabei hat das Big-Data-Zeitalter schon jetzt ähnlich laute Kritiker wie das Big-Oil-Zeitalter. Denn im Zuge des NSA-Skandals bekommt ein scheinbar harmloser Satz durchaus Brisanz: „Langfristig wollen wir Systeme bauen, die Millionen von Benutzern mit Smart-Daten erfassen können“, sagt Paul Lukowicz, vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.

Dagegen regt sich jedoch Widerstand. Netzaktivisten und Datenschützer sehen das Anliegen, aus Big Data nun Smart Data zu machen, mit gemischten Gefühlen. „Jeder öffentliche Cent, der im “Smart Data Innovation Lab” steckt, ist einer zu viel und ein Beweis für falsche Prioritätensetzung“, sagt Benjamin Bergemann von netzpolitik.org. Und auch Wolf-Dieter Lukas vom Bundesforschungsministerium räumt ein: „Wenn aus Big Data nicht Big Brother werden soll, brauchen wir Vertrauen.“

Nur anonymisierte Daten werden verarbeitet

Dennoch sei von dem Projekt keine Einschränkung der Privatsphäre zu erwarten, betont Lukas: "Wir reden hier nicht über das Profiling von Kunden“. Auch Juling vom KIT versichert: „Persönliche Daten spielen auf dieser Plattform keine Rolle“. Gesammelt würden allein Industrie- und wissenschaftlich erhobene Daten: „Patientenangaben für die Krebsforschung etwa kommen der Plattform nur anonymisiert zu, der eigentliche Datensatz bleibt vor Ort.“

Wohl auch vor dem Hintergrund der Sensibilität der Daten, fiel die Wahl für den Standort des SDIL auf das Karlsruhe Institut für Technologie. "Wir sind es hier gewohnt, mit Daten und deren Schutz umzugehen", sagt Juling. Gemeint ist die langjährige Erfahrung, die am KIT mit der Speicherung großer Datenmengen vorhanden ist. Beispielsweise der Daten aus dem Genfer Teilchenbeschleuniger CERN. Außerdem ziele das Smart Data Innovation Lab nicht nur auf den Wettbewerbsvorteil von Unternehmen und Forschung, sondern auch auf die Menschen und die Verbesserung ihres Alltags.

Die neue Plattform werde den Aufbruch in die digitale Zukunft beschleunigen, sagt etwa Jim Hagemann Snabe von SAP und nannte als Beispiele eine verbesserte Steuerung des Verkehrs und eine personalisierte Gesundheitsversorgung. „Durch den Fokus auf Themen wie Industrie 4.0 oder personalisierte Medizin gewinnen wir Erkenntnisse, die nicht nur zur Lösung wirtschaftlicher, sondern auch gesellschaftlich relevanter Herausforderungen beitragen“, so Hagemann Snabe.

Der Fokus liegt jedoch unüberhörbar auf dem Marktpotenzial: „Wir reden hier von enormen Datenmengen mit Marktwert. Big Data und Smart Data ermöglichen völlig neue Geschäftsfelder.“ Deshalb gehe es beim SDIL letztlich auch um Konkurrenzfähigkeit und Wettbewerbsvorteile. Ganz umsonst ist ein solches Vorhaben natürlich nicht zu haben. „Bei Werkzeugen zum Erfassen von Big Data reden wir von zweistelligen Millionenbeträgen. An diesen hohen Kosten scheiterte es bisher oft bei mittelständischen Betrieben“, erklärt Wolf-Dieter Lukas vom Bundesforschungsministerium.

Woher das Geld kommt, bleibt unklar

Weil der deutsche Mittelstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet, lädt die Plattform eben jene innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen zur Mitarbeit ein. Um technologische und gesellschaftliche Probleme zu lösen setze man auf den Mittelstand, so Hagemann Snabe. „Innovative Ideen kommen vor allem von diesen jungen Unternehmen und es ist unsere Aufgabe, sie aktiv zu unterstützen.“

Der finanzielle Bedarf der einzelnen Projekte ist dabei noch nicht geklärt. Fest steht lediglich, dass die Unternehmen „wesentlich“ zur Finanzierung beitragen würden. Einzelne Projekte könnten auch eine zusätzliche Förderung durch die Bundesregierung erfahren. Woher diese Mittel stammen sollen, ist allerdings noch unklar.

Ein Fernsehbeitrag des SWR fasst zusammen: "Wissenschaft und Industrie üben den digitalen Schulterschluss."