Quelle: Fraunhofer Institut
Die größten kulturellen Schätze Deutschlands lagern häufig hermetisch abgeriegelt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Über 1000 Jahre alte, fragile Pergamente und Bücher deren Deckel mit reichlich Gold und Edelsteinen verziert sind. Viel zu wertvoll um sie der Sonne oder gar den Berührungen von Museumsbesuchern auszusetzen.
Doch Bibliotheken und Museen sind nicht in erster Linie dafür da diese Schätze zu bewahren, sondern eben auch um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein bisher unlösbares Problem. Am Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik (Heinrich-Hertz-Institut Berlin) wurde deshalb ein System entwickelt, das es ermöglicht in diesen Büchern zu blättern ohne sie zu berühren.
Der Interactive 3D-Book Explorer ist eine kamerabasierte Sensorsoftware, die eine gestenbasierte Steuerung ermöglicht. Auf einem großen Flachbildschirm können Besucher so die in den Archiven ohnehin vorhandenen 2D-Scans der unbezahlbaren Exponate bestaunen. Wo der Besucher normalerweise durch eine Glasvitrine vom Objekt getrennt ist, lässt diese Technik eine einmalige Interaktion zu.
Die Einsatzmöglichkeiten reichen aber weit über Museen hinaus. Genauso ließe sich ein ähnliches System in Küchen oder sogar Operationssälen integrieren. Ohne etwa Kochlöffel oder Skalpell aus der Hand legen zu müssen, kann der Nutzer wahlweise in Rezepten oder Patientenakten blättern.
Bei der Ausstellung Pracht auf Pergament der Hypo-Kulturstiftung München kam die Technik das erste Mal zum Einsatz. Dabei wurden Schätze der Buchmalerei aus den Jahren 780 bis 1180 gezeigt. Die Besucher konnten berührungslos in Schriften der karolingischen und ottonischen Kunst blättern.
"Vor allem die hohe Anwenderfreundlichkeit macht das System so revolutionär. Nach einer kurzen Einweisung kann jeder Bibliothekar innerhalb von einer halben Stunde ein 3D Modell erstellen", sagt René de la Barré, der bei dem Fraunhofer-Institut (HHI) für das Projekt verantwortlich ist.
Zusammen mit einem Partner aus der Wirtschaft will das Institut das System jetzt zur Marktreife führen. Erste Produkte sollen im kommenden Jahr verfügbar sein, mehr verraten die Partner zu den Details des Projektes jedoch noch nicht.
Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgen derzeit die Kollegen vom Darmstädter Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung. Denn auch andere Kunstwerke wie die Büste der Nofretete sollen via 3D-Scan für die Ewigkeit haltbar gemacht werden.
Der Vorteil des 3D-Scanners aus Darmstadt: Es dauert nur wenige Minuten um ein Kunstobjekt dreidimensional zu digitalisieren. Bisher dauerte ein solcher Prozess bei vergleichbaren Verfahren mehrere Stunden oder sogar Tage. Beide Systeme des Fraunhofer-Instituts tragen dazu bei, der Öffentlichkeit wertvolles Kulturgut näherzubringen und es zugleich dauerhaft zu erhalten.
Wer also in Zukunft ins Museum geht, der darf endlich selbst die Seiten eines alten, wertvollen Buches umblättern. Statt eines knappen Einblickes, werden bald ganze Bücher für jederman zugänglich sein. Denkbar auch, dass junge Leute sich auf diese Weise zu dem oft staubig wirkenden Thema Museum hingezogen fühlen. Die Bedienung ähnelt jedenfalls einer Konsole wie der Nintendo Wii. Damit hält der Gamification-Trend auch in Kunst und Kultur Einzug.